15.08.2020

Zufall und Gegenraum

Der Zufall ist nach dem Psychologen und Kultur­wissen­schaftler Erich Neumann ein undirigiertes Sichereignen. Er verbindet den Menschen mit dem grossen Ganzen und er ist unbestechlich. Wer seine Botschaft erkennen will, kann sie entschlüsseln. Insofern spricht die Welt zu all jenen, die sie verstehen wollen. Die Gesellschaft bringt aktuell weltweit durch verordnete Handlungs­anweisungen folgendes zum Ausdruck:

Ball_frei gestellt_am kleinstenjpg  Wir waschen unsere Hände in Unschuld.

Ball_frei gestellt_am kleinstenjpg  Wir distanzieren uns vom Nächsten.

Ball_frei gestellt_am kleinstenjpg  Wir isolieren uns.

Ball_frei gestellt_am kleinstenjpg  Wir zeigen nicht unser Gesicht.

Es sind dies Gesten der Verteidigung, des Rückzugs und der Ablehnung von Verantwortung.

Diese Gesten bedeuten einen weiteren und klaren Schritt in die falsche Richtung, insofern Selbstbejahung und Lebensfreude die erstrebenswerten Ziele der Gesellschaft sind.

Die Situation zeigt, dass wir bereit sind, uns in verschiedenerlei Hinsicht den letzten Spielraum zu vergeben, indem wir alternativlos den eingeschlagenen Holzweg fortführen und – aus aktuellem Anlass solidarisch – den Gegenraum offiziell zum Feind erklären.


Handlung und Haltung

Wenn gewissenhafte Handlung ausbleibt, entsteht früher oder später Unwohlsein, weil das aktuell Notwendige in die Zukunft verschoben wird. Um vor sich selbst und anderen zu bestehen, müssen dann Mittel und Wege gefunden werden, dieses Nichthandeln und insbesondere die ihm zugerechneten Folgen zu rechtfertigen oder durch selbstzugefügte Qualen und Verzichte abzubüssen. Beides erleichtert das Gewissen.

Damit wir aus dieser verzwickten Situation herausfinden, in die wir uns schrittweise  hineinbegeben haben, brauchen wir die Kreativität und Initiative eines jeden Einzelnen. Und wie wir wissen tötet Angst die Kreativität.

Die aktuelle Krise ist nur „Gott gewollt“, wenn daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden und entsprechend danach gehandelt wird. Heinz von Foerster’s ethischer Imperativ müsste in diesem Fall zur Anwendung gelangen: „Handle stets so, dass die Zahl der Wahlmöglichkeiten grösser wird.“ Die aktuellen Methoden der Corona-Krisenbewältigung bewirken für den grossen Teil der Bevölkerungen kurz- bis langfristig das absolute Gegenteil.


Macht und Ohnmacht

Macht Euch die Erde untertan, und herrschet über Fische im Meer und über Vögel unter dem Himmel und über alles Tier, das auf Erden kreucht. (Mose 1:28)

Dieses Etappenziel ist erreicht mit dem Nebeneffekt, dass dabei das ökologische Gleichgewicht komplett durcheinander geraten ist und die Vielfalt schwindet.

Mit der ausgerufenen Corona-Krise scheint sich das Machtstreben ein neues Opfer ausgesucht zu haben. Der Mensch mit seinen Ideen wird nun tatsächlich dem Menschen ein Wolf. Der Kapitalismus frisst seine eigenen Kinder. Wird Gesundheitssicherheit mit Corona zum neuen Staatsziel?

Die zivilisatorischen Errungenschaften, die durch immer mehr Spezialisierung entstehen, rücken je länger je weiter vom Einzelnen weg und werden immer weniger verstanden aber gebraucht und angewendet. Man sieht sich gezwungen, darauf zu vertrauen, dass die gesellschaftliche Entwicklung dem Einzelnen letztendlich dient.

Die Idee, ein Corona-Virus zum grössten Feind der Menschheit zu machen und diesem Kampf alles unterzuordnen, hat zur Folge, dass die mit Macht Ausgestatteten noch mächtiger werden und die weniger Mächtigen durch Gängelung und Androhung von Strafe für diese Idee eingespannt werden können. Die Menschen werden unter der Angst um Leib und Leben gegeneinander aufgebracht, die Diskussion wird unmöglich. Das Denunzianten­tum etabliert sich, die Distanzierung auch, weil jeder den anderen fürchtet. Ist das die angekündigte neue normale Realität und wo führt sie hin?

Während die einen sich wie wohltätige Könige aufspielen, ducken sich die anderen verängstigt und akzeptieren unverständliche und auch schädliche Massnahmen. Wer die Möglichkeit hat, sucht sich unsolidarisch eine Nische.

Allem Anschein nach versucht sich jenes Unsichtbare, das wir nie wahrnehmen wollten, mit aller Kraft nachhaltig die Macht zu sichern. Es ist der Wettstreit des einseitig rationalen Denkens gegen die lebendige Welt. Diese kalte Deutung der Wirklichkeit soll nun fest in den Gesellschaften verankert werden.

Ein Abhängigkeitsverhältnis besteht aus einem Teil, der zuviel Macht ausübt
und einem Teil, der zuviel Macht abgibt.
Beide stehen zu gleichen Teilen abseits der Mitte
 und erkennen diesen Umstand oft nicht.

Freiheit und Verantwortung

Die grundlegende Freiheit des Menschen ist es, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen oder nicht. Dabei geht es darum, sich zu entscheiden, mit der eigenen Wahrheit ehrlich in Beziehung zu treten, den eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Impulsen zu vertrauen und ihnen nachzuleben. Das setzt Neugier, Offenheit und Mut voraus.

Wer diese grundsätzliche Entscheidung nicht fasst, ist Spielball der vorherrschenden Kräfte bzw. Meinungen.

Wenn die im Rahmen der Corona-Krise angekündigte neue Realität zur neuen Normalität geworden ist, werden sehr viele von uns diese oben erwähnte grundlegende Verantwortung, die Selbstverantwortung ist, nur noch unter erschwerten Bedingungen wahrnehmen können und unsere Freiheit wird empfindlich leiden. Wollen Sie das wirklich?

Wachstum und Glück

Das einzige Mittel um den Rückweg aus der Sackgasse anzutreten ist geistiges Wachstum. Im Gegensatz zum wirtschaftlichen Wachstum kennt es wohl keine Grenzen. Wir müssen die Wissensgesellschaft in eine Gesellschaft des Ver-stehens und der Verständigung transformieren. Vielwisser seien Zielungewisse, sagte der chinesische Weise Lao-Tse, und wer die Menschen nur durch Wissensmehrung fördern wolle, führe sie ins Verderben.

Der Mensch setzt Dinge in die Welt und schafft damit Tatsachen, weil er Ziele und Wünsche hat. Diese Ziele und Wünsche sind an Motivationen geknüpft, von denen die weniger gut präsentierbaren wie Missgunst, Ehrgeiz und Gier oft im verborgenen Bereich des Bewusstseins liegen und zusammen mit den bewussten Motivationen die Wirklichkeit ausmachen.

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegt das was zufällt. Passen wir die Wirklichkeit dem Gewünschten an, oder sind wir an der Aussage der Realität tatsächlich interessiert? Realität ist immer Interpretation und gleichzeitig ist eine Einheitswirklichkeit nach Erich Neumann vorstellbar, die uns Menschen im Innersten verbindet. Die sich präsentierende jeweilige Realität, sie will ehrlich und gewissenhaft wahrgenommen werden. An diesem Wahrnehmungsprozess können wir wachsen, indem wir das was uns zufällt anerkennen und uns damit die Möglichkeit schaffen, die Realität aus reinem Herzen sinnvoll zu gestalten. Diese Entwicklung braucht die Welt dringend. Profitieren werden alle. Ich und Du.

Es gewinnt wer spielt um zu spielen.